Rainer Maria Rilke
Kindheit
Da rinnt der Schule lange Angst und Zeit
Mit Warten hin, mit lauter dumpfen Dingen
O Einsamkeit, o schweres Zeitverbringen...
Und dann hinaus: die Straßen sprühn und klingen
Und auf den Plätzen die Fontänen springen
Und in den Gärten wird die Welt so weit -
Und durch das alles gehn im kleinen Kleid
Ganz anders als die andern gehn und gingen -:
O wunderliche Zeit, o Zeitverbringen
O Einsamkeit

Und in das alles fern hinauszuschauen:
Männer und Frauen; Männer, Männer, Frauen
Und Kinder, welche anders sind und bunt;
Und da ein Haus und dann und wann ein Hund
Und Schrecken lautlos wechselnd mit Vertrauen -:
O Trauer ohne Sinn, o Traum, o Grauen
O Tiefe ohne Grund

Und so zu spielen: Ball und Ring und Reifen
In einem Garten, welcher sanft verblasst
Und manchmal die Erwachsenen zu streifen
Blind und verwildert in des Haschens Hast
Aber am Abend still, mit kleinen steifen
Schritten nachhaus zu gehn, fest angefasst -:
O immer mehr entweichendes Begreifen
O Angst, o Last
Und stundenlang am großen grauen Teiche
Mit einem kleinen Segelschiff zu knien;
Es zu vergessen, weil noch andre, gleiche
Und schönere Segel durch die Ringe ziehn
Und denken müssen an das kleine bleiche
Gesicht, das sinkend aus dem Teiche schien -:
O Kindheit, o entgleitende Vergleiche
Wohin? Wohin?