Johann Wolfgang von Goethe
Totentanz
Der Türmer, der schaut zu Mitten der Nacht
Hinab auf die Gräber in Lage;
Der Mond, der hat alles ins Helle gebracht
Der Kirchhof, er liegt wie am Tage
Da regt sich ein Grab und ein anderes dann:
Sie kommen hervor, ein Weib da, ein Mann
In weißen und schleppenden Hemden

Das reckt nun, es will sich ergötzen sogleich
Die Knöchel zur Runde, zum Kranze
So arm und so jung und so alt und so reich;
Doch hindern die Schleppen am Tanze:
Und weil hier die Scham nun nicht weiter gebeut
So schütteln sich alle, da liegen zerstreut
Die Hemdelein über den Hügeln

Nun hebt sich der Schenkel, nun wackelt das Bein
Gebärden da gibt es vertrackte;
Dann klippert's und klappert's mitunter hinein
Als schlüg' man die Hölzlein zum Takte
Das kommt nun dem Türmer so lächerlich vor;
Da raunt ihm der Schalk, der Versucher, ins Ohr:
Geh! hole dir einen der Laken!

Getan, wie gedacht! und er flüchtet sich schnell
Nun hinter geheiligte Türen
Der Mond und noch immer er scheinet so hell
Zum Tanz, den sie schauderlich führen
Doch endlich verlieret sich dieser und der
Schleicht eins nach dem andern gekleidet einher
Und husch! ist es unter dem Rasen
Nur Einer, der trippelt und stolpert zuletzt
Und tappet und grapst nach den Grüften;
Doch hat kein Geselle so schwer ihn verletzt;
Er wittert das Tuch in den Lüften
Er rüttelt die Turmtür, sie schlägt ihn zurück
Geziert und gesegnet, dem Türmer zum Glück
Sie blinkt von metallenen Kreuzen

Das Hemd muß er haben, da rastet er nicht
Da gilt auch kein langes Besinnen
Den gotischen Zierrat ergreift nun der Wicht
Und klettert von Zinne zu Zinnen
Nun ist's um den Armen, den Türmer, getan
Es ruckt sich von Schnörkel zu Schnörkel hinan
Langbeinigen Spinnen vergleichbar

Der Türmer erbleicht, der Türmer erbebt
Gern gäb' er ihn wieder, den Laken
Da häckelt jetzt hat er am längsten gelebt
Den Zipfel ein eiserner Zacken
Schon trübet der Mond sich verschwindenden Scheins
Die Glocke, sie donnert ein mächtiges Eins
Und unten zerschellt das Gerippe