Johann Wolfgang von Goethe
Der Triumph der Empfindsamkeit - Kapitel 7
                                               Sechster Act.
                                             Wald und Laube.
                                           Prinz und Merkulo.

Prinz (auf dem Rasen liegend).

Merkulo (für sich). Der Besuch bey'm Orakel ist meinem Prinzen nicht wohl bekommen. War er vorher betrübt, so ist er jetzt außer sich. Könnt' ich seinen Schmerz nur zu Worten bringen! (Zum Prinzen.) Theuerster Herr! Hat die kurze Abwesenheit Ihr Herz so gegen mich zugeschlossen, daß Sie mich nicht würdigen, der Vertraute Ihres Schmerzes zu seyn, da ich so oft der Vertraute Ihres Entzückens gewesen bin?

Prinz. Ich verstehe nicht was sie sagen – und doch ist mir's, als wenn die Götter etwas Großes über mich verhängten. Mein Gemüth ist von unbekannten Empfindungen durchdrungen.

Merkulo. Wie lautet der Ausspruch des Orakels?

Prinz. Seine Worte sind zweydeutig, und was mich am meisten verdrießt, ihnen fehlt der Stempel der Ehrfurcht, den meine Fragen und mein Zustand selbst den Göttern einflößen sollten. Ich bath sie mit gerührtem Herzen, mir zu entwickeln: Wann denn diese stürmische Bewegung meines Herzens endlich aufhören, wann dieses tantalische Streben nach ewig fliehendem Genuße endlich ersättiget werden würde? wann ich für meine Mühseligkeiten und Leiden endlich belohnt, die Entzückungen mit der Ruhe, und diese holde Traurigkeit mit einem bestätigten Herzen würde verbinden können? Und was gaben sie mir für eine Antwort! Ich mag sie meinem Gedächtniß nicht wieder zurück rufen: Nimm und lies.

                                       (Er gibt ihm eine Rolle.)

Merkulo (liest).
Wird nicht ein kindisches Spiel vom ernsten Spiele vertrieben, Wird dir lieb nicht und werth, was du besitzend nicht hast, Gibst entschlossen dafür, was du nicht habend besitzest; Schwebt in ewigem Traum, Armer, dein Leben dahin.
Ein witziges Orakel! ein antithetisches Orakel!
     (Er lies't weiter.)
Was du thöricht geraubt, gib du dem Eigener wieder; Eigen werde dir dann, was du so ängstlich erborgst. Oder fürchte den Zorn der überschwebenden Götter. Fürchte Tantals Geschick hier und über dem Fluß.

Prinz. Warum mußt' ich Thörichter fragen, da ich nunmehr wider meinen Willen folgen, oder der Götter Zorn auf mich laden muß!

     (Merkulo kann nach Belieben den Orakelspruch wiederhohlen, Anmerkungen machen &c. bis er glaubt, das Publicum habe die Worte genugsam gehört.)
Merkulo. Bey dieser Gelegenheit, dächt' ich, könnten Sie sich immer mit der Unwissenheit entschuldigen; denn ich sehe wenigstens nicht, wie das Orakel prätendiren kann, daß man's verstehen soll.

Prinz. Ich versteh' es nur zu wohl! Nicht die Worte; aber den Sinn. (Gegen die Laube gekehrt.) Dich soll ich weggeben! Dich soll ich aufopfern! Als wenn ich Ruhe der Seele und Glück erwerben könnte, wenn ich mich ganz zu Grunde richte!

Merkulo. Freylich lassen sich allenfalls die Worte des Orakels dahin deuten.

Prinz. Es ist allzugrausam! Wegzugeben was ich habe, Götter ach! ist allzuviel.

Merkulo. Nennen doch die hohe Gabe Götter selbst ein Kinderspiel!

Prinz. Ich verliere diese Freuden! Mir verschwindet dieses Licht!

Merkulo (für sich). O wahrhaftig! zu beneiden Sind die Seligkeiten nicht.

Prinz. Götter neiden dieß Entzücken, Und sie nennen es ein Spiel.

Merkulo. Uns weit besser zu erquicken Gibt's noch andrer Sachen viel.

Prinz. Es ist ein entsetzlicher Entschluß, der in meiner Seele sich hin und her bewegt, und was für Empfindungen auf- und absteigen, die mir diesen Entschluß bald zu erleichtern, bald zu erschweren scheinen! – Laß mich allein, und sey bereit, auf meinen Wink alle meine Leute, alle Bewohner dieses Hauses zusammen zu rufen: denn was ich thunwill, ist eine große und männliche That, und leidet den Anblick vieler Zeugen.

Merkulo. Bester Herr, Sie machen mir bange.

Prinz. Erfülle deine Pflicht!

Merkulo (im Weggehen umkehrend). Noch eins. Andrason ist wieder hier; wollen Sie den auch zum Zeugen haben?
Prinz. Himmel! Andrason!

Merkulo. Er selbst. Ich hab' ihn, wie ich aufstand, mit seiner Schwester am Fenster gesehen.

Prinz. Laß mich allein! – Meine Sinnen verwirren sich; ich muß Luft haben, um die tausend Gedanken, die in mir durch einander gehn, zurecht zu legen. (Merkulo ab.)

Prinz (allein, nach einer Pause). Fasse dich! entschließe dich: denn du mußt! – Weggeben sollst du das, was dein ganzes Glück macht; aufgeben, was die Götter wohl Spiel nennen dürfen, weil ihnen die ganze Menschheit ein Spiel zu seyn scheint. Dich weggeben! (Er macht die Laube auf. Mandandane mit einer Maske vor dem Gesicht sitzt drin.) Es ist ganz unmöglich! Es ist als griff' ich nach meinem eignen Herzen, um es herauszureißen! und doch! – (Er fährt zusammen und von der Laube weg.) Was ist das in mir! wie unbegreiflich! Wollen mir die Götter meinen Entschluß erleichtern? Soll ich mir's läugnen oder gestehn? Zum ersten Mahl fühl' ich den Zug, der mich nach dieser himmlischen Gestalt zieht, sich verringern! Diese Gegenwart umfängt mich nicht mehr mit dem unendlichen Zauber, der mich sonst vor ihr mit himmlischen Nebeln bedeckte! Ist's möglich? in meinem Herzen entwickelt, bestimmt sich das Gefühl: du kannst, du willst sie weggeben! – Es ist mir unbegreiflich! (Er geht auf sie los.) Geliebteste! (Er wendet kurz wieder um.)Nein, ich belüge mich! Mein Herz ist nicht hier! In fremden Gegenden schwärmt's herum, und sucht nach voriger Seligkeit – Mir ist's, als wenn du es nicht mehr wärest, als wenn eine Fremde mir untergeschoben wäre. O ihr Götter! Wie ihr so grausam seyd, welche seltsame Gnade erzeigt ihr mir wieder, daß ihr mir das so erleichtert, was ich auf euern Befehl thue! – Ja, lebe wohl! Von ungefähr ist Andrason nicht hier. Ich hatte ihm die beste Hälfte seines Eigenthums geraubt; hier nehme er sie wieder! Und ihr, himmlische Geister, gebt euerm folgsamen Sohn aus den Weiten der Welt neues unbekanntes Glück! (Er ruft.) Merkulo!

                                            Merkulo (kommt).

Prinz. Bringe sie zusammen, die Meinigen, das Haus: könnt' ich die Welt zusammenrufen, sie sollte Zeuge der wundervollen That seyn!

                                               (Merkulo ab.)

     (Der Prinz verschließt die Laube. Unter einer feyerlichen Musik kommen, der Oberste, die Wache, das ganze Gefolge, nach ihnen die Fräulein; Alles stellt sich zu beyden Seiten, wie sie stehen müssen, um das Schluß-Ballet anzufangen. Zuletzt kommen Feria, und Andrason mit Merkulo. Die Musik hört auf.)

Prinz. Tritt näher, Andrason, und höre mich einen Augenblick geruhig an. Bisher sind wir nicht die besten Freunde gewesen: nunmehr haben die Götter mir die Augen geöffnet. Das Unrecht, seh' ich, war auf meiner Seite; ich raubte dir die beste Hälfte des Weibes das du liebst. Auf Befehl der Unsterblichen geb' ich dir sie zurück. Nimm als ein Heiligthum wieder, was ich als ein Heiligthum bewahrt habe; und verzeih' das Vergangne meiner Noth, meinem Irrthum, meiner Jugend und meiner Liebe.

Andrason (laut). Was soll das heißen? (Für sich.) Was wird das geben?

Prinz (eröffnet die Laube, man sieht Mandandane sitzen). Hier erkenne das Geheimniß und empfange sie zurück!

Andrason. Meine Frau! du entführst mir meine Frau? schleppst sie mit dir herum? beschimpfest mich öffentlich, da du sie mir vor den Augen aller Welt zurückgibst?

Prinz. Dieß sey dir ein Beweis der Heiligkeit meiner Gesinnungen, daß ich jetzt das Licht nicht scheue!
Andrason. Himmel und Hölle! Ich will es rächen. (Er greift nach dem Schwert, Feria hält ihn, er spricht leise zu ihr.) Laß seyn, ich muß ja so thun.

Prinz. Entrüste dich nicht! Mein Schwert hat auch eine Schärfe. Sey stille, gib der Vernunft Gehör! Du kannst nicht sagen: Es ist mein Weib; und es ist doch dein Weib.

Andrason. Ich hasse die Räthsel! (Nach einem Augenblick, stille für sich.). Ich erstaune! Wieder entbindet sich in meiner Seele ein neuer Verstand, eine Erklärung der letzten Worte des Orakels. Wär' es möglich? O helft mit, gütige Götter!(Laut.) Verzeih'! ich fühle, daß ich dir Unrecht thue. Hierin ist Zauberey oder eine andere geheime Kraft, die der Menschen Sinne zwiespaltig mit sich selbsten macht. Was soll ich mit zwey Weibern thun? Ich verehre den Wink des Himmels und deinen Schwur. Diese nehm' ich wieder an; aber gern geb' ich dir jene dagegen, die ich gegenwärtig besitze.

Prinz. Wie?

Andrason. Bringt sie her!

                                             (Die Sclaven ab.)

Prinz. Sollte ich nach so vielen Leiden noch glücklich werden können?

Andrason. Vielleicht thun hier die Himmlischen ein Wunder, um uns Beyde zur Ruhe zubringen. Laß uns diese Beyden als Schwestern betrachten, Jeder darf Eine besitzen, und Jeder die Seinige ganz.

Prinz. Ich vergeh' in Hoffnung!

Andrason. Komm du auf mein Theil, immer gleich Geliebte!

     (Die Mohren heben den Sessel aus der Laube und setzen ihn an die linke Seite des Grundes.)

Mandandane (im Begriff die Maske abzuwerfen, an Andrasons Hals). O Andrason!

Andrason (der sie nicht aufstehn noch die Maske abnehmen läßt). Still Püppchen! Stille Liebchen! Es naht der entscheidende Augenblick!

          (Die Sclaven bringen die Puppe, der Prinz auf sie los und fällt vor ihr nieder.)

Prinz. Himmel sie ist's! Himmel sie ist's! Seligkeit thauet herab!

     (Die Puppe wird an die andere Seite des Theaters, Mandandanen gegenüber, gesetzt. Hier muß die Ähnlichkeit Beyder dem Zuschauer noch Illusion machen, wie es überhaupt durch's ganze Stück darauf angesehen ist.)

Andrason. Komm' und gib mir deine Hand! Aller Groll höre unter uns auf, und feyerlich entsag' ich hier dieser zweyten Mandandane, und vereine sie mit dir auf ewig! (Er legt ihre Hände zusammen.) Sey glücklich! (für sich) mit deiner geflickten Braut!

Prinz. Ich weiß nicht, wo mich die Trunkenheit der Wonne hinführt. Diese ist's, ich fühl' ihre Nähe, die mich so lang' an sich zog, die so lang' das Glück meines Lebens machte! Ich fühl's, ich bin wieder in dem Zauberstrudel fortgerissen, der unaufhörlich von ihr ausfließt. (Zu Mandandanen.) Verzeih' und leb' wohl! (Auf die Puppe deutend.) Hier, hier ist meine Gottheit, die ganz mein Herz nach ihrem Herzen zieht!

Mandandane (die die Maske abwirft zu Andrason). Laß' uns den Bund erneuen, Gib wieder deine Hand! Verzeih' daß ich den Treuen So thöricht dich verkannt.

Prinz (zur Puppe). Was Menschen zu erfreuen Die Götter je gesandt, Das Leben zu erneuen, Fühl' ich an deiner Hand!

Merkulo. Wie mir's ist, sag' ich nicht! Als zögen uns die Wände ein Fratzengesicht! Himmel und Erde scheint uns Esel zu bohren, Wir sind unwiederbringlich verloren.

Mandandane (zu Andrason). Laß' uns den Bund erneuen, Gib wieder deine Hand! Verzeih' daß ich den Treuen So thöricht dich verkannt.

Prinz (zur Puppe). Was Menschen zu erfreuen Die Götter je gesandt, Das Leben zu erneuen, Fühl' ich an deiner Hand!

Andrason. Wenn je ein seltsam Orakel buchstäblich erfüllt worden, so ist's dieses, und alle meine Wünsche sind befriedigt, da ich dich so wieder in meinen Armen halte. Auf, Schwester, Kinder, Freunde! Laßt's nun an Lustbarkeit nicht fehlen. Wir wollen unsers Glücks genießen, über die wunderbare Geschichte unsere stillen Betrachtungen anstellen, (mehr hervortretend gegen die Zuschauer) und von hundert Lehren, die wir daraus ziehen könnten, uns besonders diese merken: daß ein Thor erst dann recht angeführt ist, wenn er sich einbildet, er folge gutem Rath oder gehorche den Göttern.

                             (Ein großes Ballet zum Schlusse.)