Erster Akt
Im Posthause
Man hört einen Postillion blasen. Postmeisterin.
Postmeisterin.
Karl! Karl!
Der Junge kommt.
Der Junge.
Was is?
Postmeisterin.
Wo hat dich der Henker wieder? Geh hinaus; der Postwagen kommt. Führ die Passagiers herein, trag ihnen das Gepäck; rühr dich! Machst du wieder ein Gesicht?
Der Junge ab. Ihm nachrufend.
Wart, ich will dir dein muffig Wesen vertreiben. Ein Wirtsbursche muß immer munter, immer alert sein. Hernach, wenn so ein Schurke Herr wird, so verdirbt er. Wenn ich wieder heiraten möchte, so wär's nur darum; einer Frau allein fällt's gar zu schwer, das Pack in Ordnung zu halten!
Madame Sommer, Lucie, in Reisekleidern. Karl.
Lucie, einen Mantelsack tragend, zu Karl.
Laß Er's nur, es ist nicht schwer; aber nehm Er meiner Mutter die Schachtel ab.
Postmeisterin.
Ihre Dienerin, meine Frauenzimmer! Sie kommen beizeiten. Der Wagen kommt sonst nimmer so früh.
Lucie.
Wir haben einen gar jungen, lustigen, hübschen Schwager gehabt, mit dem ich durch die Welt fahren möchte; und unser sind nur zwei, und wenig beladen.
Postmeisterin.
Wenn Sie zu speisen belieben, so sind Sie wohl so gütig zu warten; das Essen ist noch nicht gar fertig.
Madame Sommer.
Darf ich Sie nur um ein wenig Suppe bitten?
Lucie.
Ich hab keine Eil. Wollten Sie indes meine Mutter versorgen?
Postmeisterin.
Sogleich.
Lucie.
Nur recht gute Brühe!
Postmeisterin.
So gut sie da ist.
Ab.
Madame Sommer.
Daß du dein Befehlen nicht lassen kannst! Du hättest, dünkt mich, die Reise über schon klug werden können! Wir haben immer mehr bezahlt als verzehrt; und in unsern Umständen –!
Lucie.
Es hat uns noch nie gemangelt.
Madame Sommer.
Aber wir waren dran.
Postillion tritt herein.
Lucie.
Nun, braver Schwager, wie steht's? Nicht wahr, dein Trinkgeld?
Postillion.
Hab' ich nicht gefahren wie Extrapost?
Lucie.
Das heißt, du hast auch was extra verdient; nicht wahr? Du solltest mein Leibkutscher werden, wenn ich nur Pferde hätte.
Postillion.
Auch ohne Pferde steh ich zu Diensten.
Lucie.
Da!
Postillion.
Danke, Mamsell! Sie gehn nicht weiter?
Lucie.
Wir bleiben für diesmal hier.
Postillion.
Adies!
Ab.
Madame Sommer.
Ich seh' an seinem Gesicht, daß du ihm zu viel gegeben hast.
Lucie.
Sollte er mit Murren von uns gehen? Er war die ganze Zeit so freundlich. Sie sagen immer, Mama, ich sei eigensinnig; wenigstens eigennützig bin ich nicht.
Madame Sommer.
Ich bitte dich, Lucie, verkenne nicht, was ich dir sage. Deine Offenheit ehr ich, wie deinen guten Mut und deine Freigebigkeit; aber es sind nur Tugenden, wo sie hingehören.
Lucie.
Mama, das Örtchen gefällt mir wirklich. Und das Haus da drüben ist wohl der Dame, der ich künftig Gesellschaft leisten soll?
Madame Sommer.
Mich freut's, wenn der Ort deiner Bestimmung dir angenehm ist.
Lucie.
Stille mag's sein, das merk' ich schon. Ist's doch wie Sonntag auf dem großen Platze! Aber die gnädige Frau hat einen schönen Garten und soll eine gute Frau sein; wir wollen sehen, wie wir zurechtkommen. Was sehen Sie sich um, Mama?
Madame Sommer.
Laß mich, Lucie! Glückliches Mädchen, das durch nichts erinnert wird! Ach damals war's anders! Mir ist nichts schmerzlicher, als in ein Posthaus zu treten.
Lucie.
Wo fänden Sie auch nicht Stoff, sich zu quälen?
Madame Sommer.
Und wo nicht Ursache dazu? Meine Liebe, wie ganz anders war's damals, da dein Vater noch mit mir reiste: da wir die schönste Zeit unsers Lebens in freier Welt genossen; die ersten Jahre unserer Ehe! Damals hatte alles den Reiz der Neuheit für mich. Und in seinem Arm vor so tausend Gegenständen vorüberzueilen; da jede Kleinigkeit mir interessant ward, durch seinen Geist, durch seine Liebe! –
Lucie.
Ich mag auch wohl gerne reisen.
Madame Sommer.
Und wenn wir denn nach einem heißen Tag, nach ausgestandenen Fatalitäten, schlimmen Weg im Winter, wenn wir eintraten in manche noch schlechtere Herberge, wie diese ist, und den Genuß der einfachsten Bequemlichkeit zusammen fühlten, auf der hölzernen Bank zusammen saßen, unsern Eierkuchen und abgesottene Kartoffeln zusammen aßen – – Damals war's anders!
Lucie.
Es ist nun einmal Zeit, ihn zu vergessen.
Madame Sommer.
Weißt du, was das heißt: Vergessen! Gutes Mädchen, du hast, Gott sei Dank! noch nichts verloren, das nicht zu ersetzen gewesen wäre. Seit dem Augenblick, da ich gewiß ward, er habe mich verlassen, ist alle Freude meines Lebens dahin. Mich ergriff eine Verzweifelung. Ich mangelte mir selbst; ein Gott mangelte mir. Ich weiß mich des Zustands kaum zu erinnern.
Lucie.
Auch ich weiß nichts mehr, als daß ich auf Ihrem Bette saß und weinte, weil Sie weinten. Es war in der grünen Stube, auf dem kleinen Bette. Die Stube hat mir am wehsten getan, da wir das Haus verkaufen mußten.
Madame Sommer.
Du warst sieben Jahre alt, und konntest nicht fühlen, was du verlorst.
Annchen, mit der Suppe. Die Postmeisterin. Karl.
Annchen.
Hier ist die Suppe für Madame.
Madame Sommer.
Ich danke, meine Liebe! Ist das Ihr Töchterchen?
Postmeisterin.
Meine Stieftochter, Madame! aber da sie so brav ist, ersetzt sie mir den Mangel an eigenen Kindern.
Madame Sommer.
Sie sind in Trauer?
Postmeisterin.
Für meinen Mann, den ich vor drei Monaten verlor. Wir haben nicht gar drei Jahre zusammen gelebt.
Madame Sommer.
Sie scheinen doch ziemlich getröstet.
Postmeisterin.
O Madame! Unsereins hat so wenig Zeit zu weinen als leider zu beten. Das geht Sonntage und Werkeltage. Wenn der Pfarrer nicht manchmal auf den Text kommt, oder man ein Sterbelied singen hört. Karl, ein paar Servietten! deck hier am Ende auf.
Lucie.
Wem ist das Haus da drüben?
Postmeisterin.
Unserer Frau Baronesse. Eine allerliebste Frau.
Madame Sommer.
Mich freut's, daß ich von einer Nachbarin bestätigen höre, was man uns in einer weiten Ferne beteuert hat. Meine Tochter wird künftig bei ihr bleiben und ihr Gesellschaft leisten.
Postmeisterin.
Dazu wünsche ich Ihnen Glück, Mamsell.
Lucie.
Ich wünsche, daß sie mir gefallen möge.
Postmeisterin.
Sie müßten einen sonderbaren Geschmack haben, wenn Ihnen der Umgang mit der gnädgen Frau nicht gefiele.
Lucie.
Desto besser! Denn wenn ich mich einmal nach jemanden richten soll, so muß Herz und Wille dabei sein; sonst geht's nicht.
Postmeisterin.
Nun! nun! wir reden bald wieder davon, und Sie sollen sagen, ob ich wahr gesprochen habe. Wer um unsre gnädige Frau lebt, ist glücklich; wird meine Tochter ein wenig größer, so soll sie ihr wenigstens einige Jahre dienen: es kommt dem Mädchen auf sein ganzes Leben zugute.
Annchen.
Wenn Sie sie nur sehn! Sie ist so lieb! so lieb! Sie glauben nicht, wie sie auf Sie wartet. Sie hat mich auch recht lieb. Wollen Sie denn nicht zu ihr gehn? Ich will Sie begleiten.
Lucie.
Ich muß mich erst zurecht machen, und will auch noch essen.
Annchen.
So darf ich doch hinüber, Mamachen? Ich will der gnädigen Frau sagen, daß die Mamsell gekommen ist.
Postmeisterin.
Geh nur!
Madame Sommer.
Und sag ihr, Kleine, wir wollten gleich nach Tisch aufwarten.
Annchen ab.
Postmeisterin.
Mein Mädchen hängt außerordentlich an ihr. Auch ist sie die beste Seele von der Welt, und ihre ganze Freude ist mit Kindern. Sie lehrt sie allerlei Arbeiten machen und singen. Sie läßt sich von Bauersmädchen aufwarten, bis sie ein Geschick haben, hernach sucht sie eine gute Kondition für sie; und so vertreibt sie sich die Zeit, seit ihr Gemahl weg ist. Es ist unbegreiflich, wie sie so unglücklich sein kann, und dabei so freundlich, so gut.
Madame Sommer.
Ist sie nicht Witwe?
Postmeisterin.
Das weiß Gott! Ihr Herr ist vor drei Jahren weg, und hört und sieht man nichts von ihm. Und sie hat ihn geliebt über alles. Mein Mann konnte nie fertig werden, wenn er anfing, von ihnen zu erzählen. Und noch! Ich sag's selbst, es gibt so kein Herz auf der Welt mehr. Alle Jahre den Tag, da sie ihn zum letzten Mal sah, läßt sie keine Seele zu sich, schließt sich ein, und auch sonst, wenn sie von ihm red't, geht's einem durch die Seele.
Madame Sommer.
Die Unglückliche!
Postmeisterin.
Es läßt sich von der Sache viel reden.
Madame Sommer.
Wie meinen Sie?
Postmeisterin.
Man sagt's nicht gern.
Madame Sommer.
Ich bitte Sie!
Postmeisterin.
Wenn Sie mich nicht verraten wollen, kann ich's Ihnen wohl vertrauen. Es sind nun über die acht Jahre, daß sie hierher kamen. Sie kauften das Rittergut; niemand kannte sie; man hieß sie den gnädigen Herrn und die gnädige Frau, und hielt ihn für einen Offizier, der in fremden Kriegsdiensten reich geworden war und sich nun zur Ruhe setzen wollte. Sie war damals blutjung, nicht älter als sechzehn Jahr, und schön wie ein Engel.
Lucie.
Da wär sie jetzt nicht über vierundzwanzig?
Postmeisterin.
Sie hat für ihr Alter Betrübnis genug erfahren. Sie hatte ein Kind; es starb ihr bald; im Garten ist sein Grab, nur von Rasen, und seit der Herr weg ist, hat sie eine Einsiedelei dabei angelegt und ihr Grab dazu bestellen lassen. Mein Mann seliger war bei Jahren und nicht leicht zu rühren; aber er erzählte nichts lieber als von der Glückseligkeit der beiden Leute, solang sie hier zusammen lebten. Man war ein ganz anderer Mensch, sagte er, nur zuzusehn, wie sie sich liebten.
Madame Sommer.
Mein Herz bewegt sich nach ihr.
Postmeisterin.
Aber wie's geht. Man sagte, der Herr hätte kuriose Principia gehabt; wenigstens kam er nicht in die Kirche; und die Leute, die keine Religion haben, haben keinen Gott und halten sich an keine Ordnung. Auf einmal hieß es: Der gnädige Herr ist fort. Er war verreist und kam eben nicht wieder.
Madame Sommer. vor sich.
Ein Bild meines ganzen Schicksals!
Postmeisterin.
Da waren alle Mäuler davon voll. Eben zur Zeit, da ich als eine junge Frau hierher zog, auf Michael sind's eben drei Jahre. Und da wußt jedes was anders, sogar zischelte man einander in die Ohren, sie seien niemals getraut gewesen; aber verraten Sie mich nicht. Er soll wohl ein vornehmer Herr sein, soll sie entführt haben, und was man alles sagt. Ja, wenn ein junges Mädchen so einen Schritt tut, sie hat ihr Leben lang dran abzubüßen.
Annchen kommt.
Annchen.
Die gnädige Frau läßt Sie sehr bitten, doch gleich hinüberzukommen; sie will Sie nur einen Augenblick sprechen, nur sehen.
Lucie.
Es schickt sich nicht in diesen Kleidern.
Postmeisterin.
Gehn Sie nur, ich geb Ihnen mein Wort, daß Sie darauf nicht achtet.
Lucie.
Will Sie mich begleiten, Kleine?
Annchen.
Von Herzen gern!
Madame Sommer.
Lucie, ein Wort!
Die Postmeisterin entfernt sich.
Daß du nichts verrätst! nicht unsern Stand, nicht unser Schicksal. Begegne ihr ehrerbietig.
Lucie.
Lassen Sie mich nur! Mein Vater war ein Kaufmann, ist nach Amerika, ist tot; und dadurch sind unsere Umstände – Lassen Sie mich nur; ich hab das Märchen ja schon oft genug erzählt.
Laut.
Wollten Sie nicht ein bißchen ruhen? Sie haben's not. Die Frau Wirtin weist Ihnen wohl ein Zimmerchen mit einem Bett an.
Postmeisterin.
Ich hab eben ein hübsches, stilles Zimmerchen im Garten.
Zu Lucien.
Ich wünsche, daß Ihnen die gnädige Frau gefallen möge.
Lucie mit Annchen ab.
Madame Sommer.
Meine Tochter ist noch ein bißchen obenaus.
Postmeisterin.
Das tut die Jugend. Werden sich schon legen, die stolzen Wellen.
Madame Sommer.
Desto schlimmer.
Postmeisterin.
Kommen Sie, Madame, wenn's gefällig ist.
Beide ab.
Man hört einen Postillion.
Fernando, in Offizierstracht. Ein Bedienter
Bedienter.
Soll ich gleich wieder einspannen und Ihre Sachen aufpacken lassen?
Fernando.
Du sollst's hereinbringen, sag ich dir; herein. Wir gehen nicht weiter, hörst du.
Bedienter.
Nicht weiter? Sie sagten ja –
Fernando.
Ich sage, laß dir ein Zimmer anweisen und bring meine Sachen dorthin.
Bedientet ab.
Fernando ans Fenster tretend.
So seh ich dich wieder? Himmlischer Anblick! So seh ich dich wieder? Den Schauplatz all meiner Glückseligkeit! Wie still das ganze Haus ist! Kein Fenster offen! Die Galerie wie öde, auf der wir so oft zusammen saßen! Merk dir's, Fernando, das klösterliche Ansehn ihrer Wohnung, wie schmeichelt es deinen Hoffnungen! Und sollte, in ihrer Einsamkeit, Fernando ihr Gedanke, ihre Beschäftigung sein? Und hat er's um sie verdient? O! mir ist, als wenn ich nach einem langen, kalten, freudelosen Todesschlaf ins Leben wieder erwachte; so neu, so bedeutend ist mir alles. Die Bäume, der Brunnen, noch alles, alles! So lief das Wasser aus eben den Röhren, wenn ich, ach, wie tausendmal! mit ihr gedankenvoll aus unserm Fenster schaute, und jedes, in sich gekehrt, still dem Rinnen des Wassers zusah! Sein Geräusch ist mir Melodie, rückerinnernde Melodie. Und sie? Sie wird sein, wie sie war. Ja, Stella, du hast dich nicht verändert; das sagt mir mein Herz. Wie's dir entgegenschlägt! Aber ich will nicht, ich darf nicht! Ich muß mich erst erholen, muß mich erst überzeugen, daß ich wirklich hier bin, daß mich kein Traum täuscht, der mich so oft schlafend und wachend aus den fernsten Gegenden hierher geführt hat. Stella! Stella! Ich komme! fühlst du nicht meine Näherung? in deinen Armen alles zu vergessen! – Und wenn du um mich schwebst, teurer Schatten meines unglücklichen Weibes, vergib mir, verlaß mich! Du bist dahin; so laß mich dich vergessen, in den Armen des Engels alles vergessen, meine Schicksale, allen Verlust, meine Schmerzen, und meine Reue – Ich bin ihr so nah und so ferne – Und in einem Augenblick – Ich kann nicht, ich kann nicht! Ich muß mich erholen, oder ich ersticke zu ihren Füßen.
Postmeisterin kommt.
Postmeisterin.
Verlangen der gnädige Herr zu speisen?
Fernando.
Sind Sie versehen?
Postmeisterin.
O ja! wir warten nur auf ein Frauenzimmer, das hinüber zur gnädigen Frau ist.
Fernando.
Wie geht's Ihrer gnädigen Frau?
Postmeisterin.
Kennen Sie sie?
Fernando.
Vor Jahren war ich wohl manchmal da. Was macht ihr Gemahl?
Postmeisterin.
Weiß Gott. Er ist in die weite Welt.
Fernando.
Fort?
Postmeisterin.
Freilich! Verläßt die liebe Seele! Gott verzeih's ihm!
Fernando.
Sie wird sich schon zu trösten wissen.
Postmeisterin.
Meinen Sie doch? Da müssen Sie sie wenig kennen. Sie lebt wie eine Nonne, so eingezogen, die Zeit ich sie kenne. Fast kein Fremdes, kein Besuch aus der Nachbarschaft kommt zu ihr. Sie lebt mit ihren Leuten, hat die Kinder des Orts alle an sich und ist, ungeachtet ihres innern Schmerzens, immer freundlich, immer angenehm.
Fernando.
Ich will sie doch besuchen.
Postmeisterin.
Das tun Sie. Manchmal läßt sie uns invitieren, die Frau Amtmännin, die Frau Pfarrerin und mich, und diskuriert mit uns von allerlei. Freilich hüten wir uns, sie an den gnädigen Herrn zu erinnern. Ein einzigmal geschah's. Gott weiß, wie's uns wurde, da sie anfing, von ihm zu reden, ihn zu preisen, zu weinen. Gnädiger Herr, wir haben alle geweint wie die Kinder, und uns fast nicht erholen können.
Fernando vor sich.
Das hast du um sie verdient! –
Laut.
Ist meinem Bedienten ein Zimmer angewiesen?
Postmeisterin.
Eine Treppe hoch. Karl, zeig dem gnädigen Herrn das Zimmer!
Fernando mit dem Jungen ab.
Lucie, Annchen kommen.
Postmeisterin.
Nun, wie ist's?
Lucie.
Ein liebes Weibchen, mit der ich mich vertragen werde. Sie haben nicht zuviel von ihr gesagt. Sie wollt mich nicht lassen. Ich mußte ihr heilig versprechen, gleich nach Tisch mit meiner Mutter und dem Gepäck zu kommen.
Postmeisterin.
Das dacht ich wohl! Ist's jetzt gefällig zu essen? Noch ein schöner langer Offizier ist angefahren, wenn Sie den nicht fürchten.
Lucie.
Nicht im geringsten. Mit Soldaten hab ich lieber zu tun als mit andern. Sie verstellen sich wenigstens nicht, daß man die Guten und Bösen gleich das erste Mal kennt. Schläft meine Mutter?
Postmeisterin.
Ich weiß nicht.
Lucie.
Ich muß doch nach ihr sehn.
Ab.
Postmeisterin.
Karl! Da ist wieder das Salzfaß vergessen. Heißt das geschwenkt? Sieh nur die Gläser! Ich sollt dir sie am Kopf entzwei schmeißen, wenn du so viel wert wärst, als sie kosten!
Fernando kommt.
Postmeisterin.
Das Frauenzimmer ist wieder da. Sie wird gleich zu Tisch kommen.
Fernando.
Wer ist sie?
Postmeisterin.
Ich kenn sie nicht. Sie scheint von gutem Stande, aber ohne Vermögen; sie wird künftig der gnädgen Frau zur Gesellschaft sein.
Fernando.
Sie ist jung?
Postmeisterin.
Sehr jung; und schnippisch. Ihre Mutter ist auch droben.
Lucie kommt.
Lucie.
Ihre Dienerin!
Fernando.
Ich bin glücklich, eine so schöne Tischgesellschaft zu finden.
Lucie neigt sich.
Postmeisterin.
Hierher, Mamsell! Und Sie belieben hierher!
Fernando.
Wir haben nicht die Ehre von Ihnen, Frau Postmeisterin?
Postmeisterin.
Wenn ich einmal ruhe, ruht alles.
Ab.
Fernando.
Also ein Tête-à-tête!
Lucie.
Den Tisch dazwischen, wie ich's wohl leiden kann.
Fernando.
Sie haben sich entschlossen, der Frau Baronesse künftig Gesellschaft zu leisten?
Lucie.
Ich muß wohl!
Fernando.
Mich dünkt, Ihnen sollt' es nicht fehlen, einen Gesellschafter zu finden, der noch unterhaltender wäre als die Frau Baronesse.
Lucie.
Mir ist nicht drum zu tun.
Fernando.
Auf Ihr ehrlich Gesicht?
Lucie.
Mein Herr, Sie sind wie alle Männer, merk ich!
Fernando.
Das heißt?
Lucie.
Auf den Punkt sehr arrogant. Ihr Herren dünkt euch unentbehrlich; und ich weiß nicht, ich bin doch groß geworden ohne Männer.
Fernando.
Sie haben keinen Vater mehr?
Lucie.
Ich erinnere mich kaum, daß ich einen hatte. Ich war jung, da er uns verließ, eine Reise nach Amerika zu tun, und sein Schiff ist untergegangen, hören wir.
Fernando.
Und Sie scheinen so gleichgültig dabei?
Lucie.
Wie könnt ich anders? Er hat mir wenig zuliebe getan; und ob ich's ihm gleich verzeihe, daß er uns verlassen hat – denn was geht dem Menschen über seine Freiheit? –, so möcht ich doch nicht meine Mutter sein, die vor Kummer stirbt.
Fernando.
Und Sie sind so ohne Hülfe, ohne Schutz?
Lucie.
Was braucht's das? Unser Vermögen ist alle Tage kleiner worden; dafür auch ich alle Tage größer; und mir ist's nicht bange, meine Mutter zu ernähren.
Fernando.
Mich erstaunt Ihr Mut!
Lucie.
O, mein Herr, der gibt sich. Wenn man so oft unterzugehen fürchtet und sich immer wieder gerettet sieht, das gibt ein Zutrauen!
Fernando.
Davon Sie Ihrer lieben Mutter nichts mitteilen können?
Lucie.
Leider ist sie, die verliert, nicht ich. Ich dank's meinem Vater, daß er mich auf die Welt gesetzt hat, denn ich lebe gern und vergnügt; aber sie – die alle Hoffnung des Lebens auf ihn gesetzt, ihm den Flor ihrer Jugend aufgeopfert hatte, und nun verlassen, auf einmal verlassen – – Das muß was Entsetzliches sein, sich verlassen zu fühlen! – Ich habe noch nichts verloren; ich kann nichts davon reden. – Sie scheinen nachdenkend!
Fernando.
Ja, meine Liebe, wer lebt, verliert;
aufstehend
aber er gewinnt auch. Und so erhalt Ihnen Gott Ihren Mut!
Er nimmt ihre Hand.
Sie haben mich erstaunen machen. O, mein Kind, wie glücklich! – – Ich bin auch in der Welt gar viel, gar oft von meinen Hoffnungen – Freuden – Es ist doch immer – Und –
Lucie.
Wie meinen Sie?
Fernando.
Alles Gute! die besten, wärmsten Wünsche für Ihr Glück!
Ab.
Lucie.
Das ist ein wunderbarer Mensch! Er scheint aber gut zu sein.