Personen
Erwin
Elmire
Rosa
Valerio
Erster Aufzug
Ein Garten, mit einer Aussicht auf Land- und Lusthäuser.
Erster Auftritt
Rosa und Valerio kommen mit einander singend aus der Ferne.
Rosa Wie schön und wie herrlich, nun sicher einmal Im Herzen des Liebsten regieren!
Valerio Wie schön und wie fröhlich, durch Feld und durch Tal Sein Liebchen am Arme zu führen!
Rosa Man siehet mit Freude die Wolken nun ziehn, Die Bäche mit Ruhe nun fließen!
Valerio Die Bäume nun grünen, die Blumen nun blühn, Kann alles gedoppelt genießen!
Beide Die Tage der Jugend sie glänzen und blühn; O laß uns der Jugend genießen!
Rosa Ich drücke meine Freude dir, Geliebter, Mit keinen holden, süßen Worten aus. Ja, du bist mein! Ja, ich erkenne nun Dein treues, einzig-treues Herz! Verzeih', Wenn ich mit Eifersucht dich jemals quälte. Daß du mir wert bist, zeigt dir meine Sorge.
Valerio Ja, ich bin dein, und nichts soll mich von dir, So lang' mein Atem wechselt, je entfernen. Vergib, wenn ich aus angeborner Neigung, Mit einem jeden gut und froh zu sein, Mich dir verdächtig machte. Sieh mir nach; Denn du allein besitzest dieses Herz.
Rosa So sei es! Deine Hand! Vergiß, und ich Will auch vergessen.
Valerio O bekämpfe ja Das Übel, das in deinen Busen sich Auch wider deinen eignen Willen schleicht. Jung sind wir, glücklich, und die nahe Hoffnung, Auf immer uns verbunden bald zu freuen, Macht diese Gegend einem Paradiese Mit allen seinen Seligkeiten gleich. Gewiß, gewiß! Ich fühl' es ganz; und schweben Wohltät'ge Geister um uns her, die uns Dies Glück bereitet, so erfreuen sie Sich ihres Werkes. Laß uns ungekränkt Vor ihren Augen der gegönnten Lust Mit stets entzückter Dankbarkeit genießen.
Ein Schauspiel für Götter, Zwei Liebende zu sehn! Das schönste Frühlingswetter Ist nicht so warm, so schön. Wie sie stehn! nach einander sehn! In vollen Blicken Ihre ganze Seele strebt! In schwebendem Entzücken Zieht sich Hand nach Hand, Und ein schaudervolles Drücken Knüpft ein dauernd Seelenband.
Valerio, der die Pantomime zu dieser Arie gegen seine Geliebte ausgedrückt hat, faßt sie zuletzt in den Arm, und sie umschließt ihn mit dem ihrigen.
Wie um uns ein Frühlingswetter Aus der vollen Seele quillt! Das ist euer Bild, ihr Götter! Götter, das ist euer Bild. Zu zwei. Das ist euer Bild, ihr Götter! Sehet, Götter, euer Bild!
Sie gehen nach dem Grunde des Theaters, als wenn sie abtreten wollten, und machen eine Pause. Dann scheinen sie sich zu besinnen, und kommen, gleichsam spazierengehend, wieder hervor.
Rosa Doch laß uns auch an unsre Freundin denken. Ich sehe sie am Fenster nicht, auch nicht Auf der Terrasse. Bleibt die Arme wohl An diesem schönen Tage still bei sich Verschlossen? oder wandelt sie im Walde Gedankenvoll, betrübt, allein?
Valerio Sie ist Wohl zu beklagen. Seit der gute Jüngling, Der sie so sehr geliebt, und dem sie selbst Sich heimlich widmete, Durch Kälte, scheinende Verachtung viel Gequält, zuletzt es nicht mehr trug und fort In alle Welt, Gott weiß wohin, entfloh; Seitdem verfolgt und foltert der Gedanke Ihr Innerstes, welch eine Seele sie Gequält, und welche Liebe sie verscherzt.
Rosa Sie kommt. O laß uns mit ihr gehen! sie Mit fröhlichen Gesprächen unterhalten. Es ziemt uns wohl, da wir so glücklich sind, Den Schmerzen andrer lindernd beizustehn.
Zweiter Auftritt
Elmire. Die Vorigen.
Rosa und Valerio ihr entgegen gehend, zu zwei.
Liebes Kind, du siehst uns wieder! Komm, begleite diese Lieder! Diesen Tag, so schön, so schön, Laß im Garten uns begehn.
Elmire
Liebe Freunde, kommt ihr wieder? Ach mich hält der Kummer nieder. Sei der Tag auch noch so schön, Kann ihn nicht mit euch begehn.
Rosa und Valerio
Und das Verlangen, Und das Erwarten: »Blühten die Blumen! Grünte mein Garten!« Kaum erst erfüllt Ist schon gestillt?
Elmire
Und das Verlangen Und das Erwarten: »Säh' ich den Liebsten Wieder im Garten!« Ist nicht erfüllt, Wird nicht gestillt.
Rosa und Valerio
Soll umsonst die Sonne scheinen?
Elmire
Laßt, o Liebe, laßt mich weinen!
Rosa und Valerio
Sieh', die Blumen blühen all! Hör', es schlägt die Nachtigall!
Elmire
Leider, sie verblühen all! Traurig schlägt die Nachtigall! Zu drei.
Töne, töne, Nachtigall!
Elmire Meiner Klagen Wiederhall.
Rosa u. Valerio Neuer Freuden
Rosa O süße Freundin! Will denn keine Lust Mit diesem Frühlingstage dich besuchen?
Valerio Ist dieser Schmerz so eingewohnt zu Haus, Daß er auf keine Stunde sich entfernet?
Elmire Ach leider, ach! bestürmen dieses Herz Der Liebe Schmerzen, das Gefühl der Reue, Verlaßt mich, meine Freunde; denn was hilft's? Die liebe Gegenwart, die tröstliche, Bringt keine Freude, keinen Trost zu mir. Bin ich allein; so darf ich wiederholen, Ins tausendfache wiederholen, was Euch nur verdrießlich oft zu hören wäre.
Valerio Im Busen eines Freundes wiederhallend Verliert sich nach nach des Schmerzens Ton.
Elmire Ich lausche gern dem schmerzlichen Gesang, Der wie ein Geisterlied das Ohr umschwebt.
Rosa Die Freuden andrer locken nach und nach Uns aus uns selbst zu neuen Freuden hin.
Elmire Wenn andre sich ihr Glück verdienen, hab' Ich meine Schmerzen mir gar wohl verdient. Nein, nein! Verlaßt mich, daß im stillen Hain Mir die Gestalt begegne, die Gestalt Des Jünglings, den ich mir so gern entgegen Mit seiner stillen Miene kommen sah. Er blickt mich traurig an, er naht sich nicht, Er bleibt von fern an einem Seitenwege Wie unentschlossen stehn. So kam er sonst, Und drang sich nicht wie jeder andre mir Mit ungestümen Wesen auf. Ich sah Gar oft nach ihm, wenn ich nach einem andern Zu sehen schien; er merkt' es nicht, er sollt' Es auch nicht merken. Scheltet mich, und scheltet Mich nicht. Ein tief Gefühl der Jugendfreuden, Der Jugendfreiheit, die wir nur zu bald Verscherzen, um die lange, lange Wandrung Auf gutes Glück, mit einem Unbekannten Verbunden, anzutreten; dies Gefühl Hielt mich zurück, zu sagen wie ich liebte. Und doch auch so! Ich hätte können zarter Mit dieser guten Seele handeln. Nur Zu nah liegt eine freche Kälte neben Der heißesten Empfindung unsrer Brust.
Rosa Wenn du es willst; so gehn wir nach den Buchen, Wo heute die Gesellschaft sich versammelt.
Elmire Ich halt' euch nicht, gewiß nicht ab. Ihr geht, Ich bleibe hier, ich mag mich nicht zerstreuen.
Valerio So werden wir gewiß dich nicht allein Mit deinem Kummer im Gespräche lassen.
Elmire Wenn ihr mich liebt und mit mir bleiben wollt; So schmeichelt meiner Trauer, stört sie nicht.
Rosa Beliebt es dir zu singen?
Valerio Wenn du magst –?
Elmire
Recht gern! Ich bitte lass't uns jenes Lied Zusammen singen, das Erwin so oft Des Abends sang, wenn unter meinem Fenster Er seine Zither rührte, hoch und höher Die Nacht sich über seinen Klagen wölbte.
Rosa Verzeih!
Valerio Es gibt so viele, viele Lieder!
Elmire Das eine wünsch' ich, ihr versagt mir's nicht.
Rosa
Ein Veilchen auf der Wiese stand Gebückt in sich und unbekannt, Es war ein herzigs Veilchen.
Valerio
Da kam eine junge Schäferin Mit leichtem Schritt und munterm Sinn Daher! daher! Die Wiese her und sang.
Elmire
Ach, denkt das Veilchen, wär' ich nur Die schönste Blume der Natur, Ach nur ein kleines Weilchen; Bis mich das Liebchen abgepflückt Und an dem Busen matt gedrückt! Ach nur! Ach nur Ein Viertelstündchen lang!
Rosa
Ach aber ach! das Mädchen kam Und nicht in Acht das Veilchen nahm, Ertrat das arme Veilchen.
Valerio
Und sank und starb und freut' sich noch: »Und sterb' ich denn, so sterb' ich doch Durch sie, durch sie, Zu ihren Füßen doch!«
Zu drei.
»Und sterb' ich denn; so sterb' ich doch Durch sie, durch sie, Zu ihren Füßen doch!«
Elmire Und dieses Mädchen, das auf seinem Wege Unwissend eine Blume niedertritt, Sie hat nicht Schuld; ich aber, ich bin schuldig. Oft hab' ich ihn, ich muß es doch gestehn, Oft hab' ich ihn gereizt, sein Lied gelobt, Ihn wiederholen lassen, was er mir Ins Herz zu singen wünschte; dann auch wohl Ein andermal getan, als wenn ich ihn Nicht hörte. Mehr noch, mehr hab' ich verbrochen.
Valerio Du klagst dich streng', geliebte Freundin, an.
Elmire Weit strenger klagt mich an des Treuen Flucht.
Rosa Die Liebe bringt ihn dir vielleicht zurück.
Elmire Sie hat vielleicht ihn anderwärts entschädigt. Ich bin nicht bös geboren; doch erst jetzt Erstaun' ich, wie ich lieblos ihn gemartert. Man schonet einen Freund, ja man ist höflich Und sorgsam, keinen Fremden zu beleid'gen; Doch den Geliebten, der sich einzig mir Auf ewig gab, den schont' ich nicht, und konnte Mit schadenfroher Kälte den betrüben.
Valerio Ich kenne dich in deiner Schildrung nicht.
Elmire Und eben da lernt' ich mich selbst erst kennen. Was war es anders, als er einst zwei Pfirschen Von einem selbstgepfropften Bäumchen frisch Gebrochen brachte, da wir eben spielten. Die stille Freude seiner Augen, nun Dies erste Paar der lang' erwarteten, Gepflegten Frucht, gleich einer Gottheit mir Zu überreichen, sah ich nicht; ich sah Sie damals nicht, – doch hab' ich sie gesehn; Wie könnt' ich sonst des Ausdrucks mich erinnern? Ich dankt' ihm leicht und nahm sie an, und gleich Bot ich sie der Gesellschaft freundlich hin, Er trat zurück, erblaßte; seinem Herzen War es ein Todesstoß. Es sind die Pfirschen, Die Früchte sind es nicht. Ach, daß mein Herz So stolz und kalt und übermütig war!
Valerio Wenn es auch edel ist, sich seiner Fehler Erinnern, sie erkennen, und sich selbst Verbessern; o so kann es keine Tugend, Nicht lobenswürdig sein, mit der Erinn'rung Die Kraft des Herzens tief zu untergraben.
Elmire Befreie mich von allen diesen Bildern, Vom Bilde jeder Blume, die er mir Aus seinem Garten brachte, von dem Blick Mit dem er noch mich ansah, als er schon Beschlossen hatte, sich von mir zu reißen.
Erwin! o schau, du wirst gerochen; Kein Gott erhöret meine Not. Mein Stolz hat ihm das Herz gebrochen, O Liebe! gib mir den Tod.
So jung, so sittsam zum Entzücken! Die Wangen, welches frische Blut! Und ach! in seinen nassen Blicken, Ihr Götter, welche Liebesglut!
Erwin! o schau, du wirst gerochen; Kein Gott erhöret meine Not. Mein Stolz hat ihm das Herz gebrochen, O Liebe! gib mir den Tod.
Rosa und Valerio bemühen sich während dieses Gesanges sie zu trösten, besonders Valerio. Gegen das Ende der Arie wird Rosa still, tritt an die Seite, sieht sich manchmal nach den Beiden unruhig und verdrießlich um.
Rosa für sich
Ich komme hier mir überflüssig vor; Der Freund scheint auf die Freundin mehr zu wirken, Als eine Freundin. Gut, ich kann ja wohl Allein durch diese Gänge wandeln, finde Auch einen Freund, die Zeit mir zu verkürzen. Sie geht ab, sich noch einigemal umsehend. Elmire und Valerio, welche mit einander fortsprechen, bemerken nicht, daß sie sich entfernt.
Valerio Ich lasse dich nicht mehr, und leide nicht, Daß diese Schmerzen ewig wiederkehren Es fehlt der Mensch; und darum hat er Freunde. Es haben gute, weise Menschen sich Dazu gebildet, daß sie den Gefallnen Mit leichter Hand erheben, Irrende Dem rechten Wege leitend näher bringen. Ich habe selbst auch viele Schmerzenszeiten Erleben müssen, wer erlebt sie nicht? Die angeborne Heftigkeit und Hast, Die ich nun eher bändigend beherrsche, Ergriff mich oft, und trieb mich ab vom Ziel. Da führte mich zu einem alten, edeln Und klugen Manne mein Geschick. Er hörte Mich liebreich an; und die verworrnen Knoten Des wild verknüpften Sinnes lös't' er leicht Und bald, mit wohlerfahrner treuer Hand. Ja, lebt er noch, denn lange hab' ich ihn Nicht mehr gesehn, so sollst du zu ihm hin, Ich führe dich, und Rosa geht mit uns.
Elmire Wo ist sie hin?
Valerio Ich sehe sie dort unten Im Schatten gehn.
Elmire Wo wohnt der teure Mann?
Valerio Nicht allzu weit von hier, in dem Gebirge. Du weißt, wir gingen neulich durch den Wald, Und an dem Berge weg, bis zu dem Orte, Wo eine Felsenwand am Flusse still Uns stehen hieß. Der kleine Steg, der sonst Hinüberführt, war von dem Strom vor kurzem Hinweg gerissen; doch wir finden ihn Jetzt wieder hergestellt. Dies ist der Weg, Wir folgen einem Pfade durchs Gebüsch; Und auf der Wiese kennen wir gar leicht Den Fußsteg linker Hand, und dieser führt Uns stets am Flusse hin, um Wald und Fels, Durch Busch und Tal; man kann nicht weiter irren. Zuletzt wirst du die Hütte meines Freundes Auf einem Felsen sehn; es wird dir wohl Auf diesem Wege werden, wohler noch, Wenn du dies Heiligtum erreichst.
Elmire O bring' mich hin! Der Tag ist lang, ich sehne Mich nach dem stillen Gange, nach den Worten Des guten Greises, dem ich meine Schuld Und meine Not gar gern bekennen werde.
Valerio Und trügt mich nicht, was ich an ihm bemerkt; So weiß er mehr, als andre Menschen wissen. Sein ungetrübtes freies Auge schaut Die Ferne klar, die uns im Nebel liegt. Die Melodie des Schicksals, die um uns In tausend Kreisen klingend sich bewegt, Vernimmt sein Ohr; und wir erhaschen kaum Nur abgebrochne Töne hier und da. Betrüg' ich mich nicht sehr, so wird der Mann Dir mit dem Trost zugleich auch Hülfe reichen.
Elmire O laß uns fort! Wie oft sind wir um nichts Berg-auf, Berg-ab gestiegen, sind gegangen Nur um zu gehen. Laß uns dieses Ziel, So bald als möglich ist, erreichen. Rosa! Wo Ist unsre Freundin?
Valerio Gleich! Ich hole sie. Auch wünsch' ich sehr, daß sie ihn einmal sehe, Aus seinem Mund ein heilsam Wort vernehme. Sie bleibt mir ewig wert; doch fürcht' ich stets, Sie macht mich elend: denn die Eifersucht Nagt ihre Brust wie eine Krankheit, die Wir nicht vermögen auszutreiben, nicht Ihr zu entfliehen. Oft, wenn sie die Freuden, Die reinsten mir vergällt, verzweifl' ich fast, Und der Entschluß sie zu verlassen, steigt Wie ein Gespenst in meinem Busen auf.
Elmire Geschwind, geschwind, daß uns der weise Mann Zusammen rate, Trost und Hülfe gebe, Wenn ihm die Kraft vom Himmel zugeteilt ist. Indem sie dringend Valerios Hände nimmt.
Ich muß, ich muß ihn sehen, Den göttergleichen Mann.
Valerio der ihre Hände festhält und ihre Freundlichkeit erwiedert.
Ich will mit Freude sehen, Wie schön er trösten kann.
Rosa die ungesehen herbeikommt und sie beobachtet, für sich.
Was muß, was muß ich sehen! Du böser, falscher Mann!
Elmire wie oben
Der Trost aus seinem Munde Wird Nahrung meinem Schmerz.
Valerio wie oben
Er heilet deine Wunde, Beseliget dein Herz.
Rosa wie oben
O welche tiefe Wunde! Es bricht, es bricht mein Herz!
Elmire wird sie gewahr
Komm mit, Geliebte! Laß uns eilend gehen Und unsre Sonnenhüte nehmen. Du Bist doch zufrieden, daß wir neue Wege, Geleitet von Valerio, betreten?
Rosa Ich dächte fast, ihr gingt allein, vermiedet Der Freundin unbequeme Gegenwart.
Elmire Wie, Rosa? Mich?
Valerio Mein Kind, bedenke doch, Mit wem du redest, was du mir so heilig Vor wenig Augenblicken noch versprachst.
Rosa Bedenk' es selbst, Verräter! Nein, ich habe Mit diesen meinen Augen nichts gesehn.
Valerio Das ist zu viel, zu viel! Du siehst mich hier Mit warmem Herzen einer edeln Freundin In trüber Stunde beizustehn bemüht. Ist dies Verrat?
Rosa Und sie scheint sehr getröstet.
Elmire Kann deine Leidenschaft mich auch verkennen?
Valerio Beleid'ge, Rosa, nicht das schöne Herz. Geh' in dich selbst, und höre was dein Freund, Was dein Geliebter sagt, und was dir schon Dein eigen Herz statt meiner sagen sollte.
Rosa weinend und schluchzend, indem Valerio sich um sie bemüht
Nein, nein, ich glaube nicht, Nein, nicht den Worten. Worte, ja Worte habt ihr genug. Liebe und lieble dorten nur, dorten! Alles erlogen, alles ist Trug.
Sie wendet sich von ihm ab; und da sie sich auf die andere Seite kehrt, kommt ihr Elmire entgegen, sie zu besänftigen.
Freundin, du Falsche, Solltest dich schämen! Laßt mich! Ich will nicht, Will nichts vernehmen. Doppelte Falschheit, Doppelter Trug.
Valerio So ist es denn nicht möglich, daß du dich Bemeistern kannst? Doch ach, was red' ich viel! Wenn dieser falsche Ton in einem Herzen Nun einmal klingt, und immer wieder klingt; Wo ist der Künstler, der es stimmen könnte? In diesem Augenblick verwundest du Mich viel zu tief, als daß es heilen sollte. Wie? diese redliche Bemühung eines Freundes, Der Freundin beizustehen, die Erfüllung Der schönsten Pflicht, du wagst sie mißzudeuten? Was ist mein Leben, wenn ich andern nicht Mehr nutzen soll? Und welches Wirken ist Wohl besser angewandt, als einen Geist, Der, leidenschaftlich sich bewegend, gern Sein eignes Haus zerstörte, zu besänft'gen? Nein! Nein, ich folge jenem Trieb', der mir Schon lang' den Weg zur Flucht gezeigt, schon lange Mich deiner Tyrannei auf ewig zu Entziehen hieß. Leb' wohl. Es ist geschehn! Zerschlagen ist die Urne, die so lang' Der Liebe Freuden und der Liebe Schmerzen In ihrem Busen willig faßte; rasch Entstürzet das Gefühl sich der Verwahrung, Und fließt, am Boden rieselnd und verbreitet, Zu deinen Füßen nun versiegend hin.
Höret alle mich, ihr Götter, Die ihr auf Verliebte schauet: Dieses Glück, so schön gebauet, Reiß' ich voll Verzweiflung ein.
Ach, ich hab' in deinen Armen, Mehr gelitten als genossen! Nun es sei! Es ist beschlossen! Ende, Glück, und ende Pein! Ab.
Elmire
Hörst du, er hat geschworen; Ich furcht', er macht es wahr.
Rosa´
Sie sind nicht alle Toren, Wie dein Geliebter war.
Elmire
Gewiß, er muß dich hassen; Kannst du so grausam sein?
Rosa
Und kann er mich verlassen, So war er niemals mein.
Es kommt ein Knabe, der ein versiegeltes Blättchen an Rosa bringt.
Elmire
Welch ein Blättchen bringt der Knabe? Knabe, sage mir, wer gab dir's? Doch er schweigt und eilet fort.
Rosa Elmire das Blatt gebendAch, an mich ist's überschrieben! Liebe Freundin, lies, o lies es, Und verschweige mir kein Wort.
Elmire liest
»Ich flieh', ich fliehe, Dich zu vermeiden, Und mit den Schmerzen Und mit den Freuden Nicht mehr zu kämpfen. Siehst mich nicht wieder; Schon bin ich fort!«
Rosa auf das Blatt sehend
O weh' o wehe! Was muß ich hören! Was muß ich leiden! Aus meinem Herzen Entfliehn die Freuden; Es flieht das Leben Mit ihnen fort.
Elmire
Komm, ermanne dich, Geliebte! Noch ist alles nicht verloren, Nein, du wirst ihn wiedersehn.
Rosa
Laß, o laß die tief Betrübte; Nein, er hat, er hat geschworen, Ach, es ist um mich geschehn.
Elmire
Ich weiß ein Plätzchen Und eine Wohnung; Ich wett', er eilet, Ich wett', er fliehet An diesen Ort.
Rosa
O was versprech' ich Dir für Belohnung! O eil' o eile! Er flieht, er fliehet Wohl weiter fort.
Elmire
Bin bereit mit dir zu eilen; Dort, den eignen Schmerz zu heil Find' ich einen heilgen Mann.
Rosa
O Geliebte, laß uns eilen, Diese Schmerzen bald zu heilen, Die ich nicht ertragen kann.
Elmire
Zwei Mädchen suchen Mit Angst und Sorgen, Die Vielgeliebten Zurück zu finden; Es fühlet jede Was sie verlor.
Rosa
O laß die Buchen Am stillen Morgen, O laß die Eichen Den Weg uns zeigen! Es finde jede Den sie erkor.
Beide
Und zwischen Felsen Und zwischen Sträuchen, O trag', o Liebe, Die Fackel vor!
Zweiter Aufzug
Waldig-buschige Einöde, zwischen Felsen eine Hütte mit einem Garten dabei.
Erster Auftritt
Erwin
Ihr verblühet, süße Rosen, Meine Liebe trug euch nicht; Blühtet, ach, dem Hoffnungslosen, Dem der Gram die Seele bricht!
Jener Tage denk' ich trauernd, Als ich, Engel, an dir hing, Auf das erste Knöspchen lauernd Früh zu meinem Garten ging,
Alle Blüten, alle Früchte Noch zu deinen Füßen trug, Und vor deinem Angesichte Hoffnung in dem Herzen schlug.
Ihr verblühet, süße Rosen, Meine Liebe trug euch nicht; Blühtet, ach, dem Hoffnungslosen, Dem der Gram die Seele bricht!
So ist es denn vergebens, jenes Bild Aus meiner Stirne wegzutilgen. Hell Bleibt die Gestalt und glänzend vor mir stehn. Je tiefer sich die Sonne hinter Wolken Und Nebel bergen mag, je trüber sich Der Schmerz um meine Seele legt; nur heller Und heller glänzt im Innersten dies Bild, Dies Angesicht hervor, ich seh', ich seh's! – Sie wandelt vor mir hin, und blickt nicht her. O welch ein Wuchs! o welch ein stiller Gang! Sie tritt so gut und so bescheiden auf, Als sorgte sie zu zeigen: »Seht ich bin's.« Und doch geht sie so leis' und leicht dahin, Als wüßte sie von ihrer eignen Schönheit So wenig, als der Stern der uns erquickt. Aber bald wächst das Gefühl in meinem Busen; Diese stille Betrachtung, heftiger, heftiger Wendet sie Schmerzen tief in der Brust. Unwiderstehlich faßt mich das Verlangen Zu ihr! zu ihr! und diese Gegenwart Des schönen Bilds vor meiner Seele flieht Nur mehr und mehr, je mehr ich nach ihm greife. Gegen Hütte und Garten gekehrt. O teurer Mann, den ich in dieser Öde, So still und glücklich fand, der manche Stunde Mir Frieden in das Herz gesprochen, der Zu früh nach jenen seligen Gefilden Hinüber wandelte. Von deinem Grabe, Das ich mit Blumen kränzte, sprich zu mir; Und kannst du mich nicht retten, zieh mich nach.
Welch ein Lispeln, welch ein Schauer Weht vom Grabe des Geliebten! Ja, es wehet dem Betrübten Sanften Frieden in das Herz.
Gegen die andre Seite gekehrt.
Schweige, zarte liebe Stimme! Mit den sanften Zaubertönen Lockst du mich, vermehrst das Sehnen, Marterst mit vergebnem Schmerz.
Wie oben.
Welch ein Lispeln, welch ein Schauer Weht vom Grabe des Geliebten! Ja, es wehet dem Betrübten Sanften Frieden in das Herz.
Wer kommt am Flusse her, und steigt behende Den Fels herauf? Erkenn' ich diesen Mann, So ist's Valerio. Welch ein Geschick Führt ihn auf diese Spur? Ich eile schnell Mich zu verbergen. – Was beschließ' ich? Was Ist hier zu tun? – Geschwind' in deine Hütte! Dort kannst du horchen, überlegen dort.
Zweiter Auftritt
Valerio eine blonde Haarlocke in der Hand tragend
Nein, es ist nicht genug die Welt zu fliehn! Die schönen Locken hab' ich gleich entschlossen Vom Haupte mir geschnitten, und es ist An keine Wiederkehr zu denken. Hier Weih' ich der Einsamkeit den ganzen Rest Von meinem Leben. Felsen und Gebüsch, Du hoher Wald, du Wasserfall im Tal, Vernehmet mein Gelübde, nehmt es an!
Hier! Es ist mein fester Wille, Euch, ihr Nymphen dieser Stille, Weih' ich dieses schöne Haar! Alle Locken, alle Haare, Zierden meiner jungen Jahre, Bring' ich euch zum Opfer dar.
Er legt die Locke auf den Felsen.
Dritter Auftritt
Valerio. Erwin.
Valerio ohne Erwin zu sehen
Mein Herz ist nun von aller Welt entfernt, Ich darf mich wohl dem heilgen Manne zeigen.
Erwin In der Tür der Hütte Vergebens will ich fliehn; sie zieht mich an, Die Stimme, die mich sonst so oft getröstet.
Valerio Er kommt! O Heiliger, vergib, du siehst – Er erstaunt und tritt zurück.
Erwin
Vergib, mein Freund, du siehst nur seinen Schüler.
Valerio Ist's möglich? welche Stimme! welches Bild!
Erwin Hat ihn der Gram nicht ganz und gar entstellt?
Valerio Er ist's! er ist's! mein Freund! Erwin mein Freund!
Erwin Der Schatten deines Freundes ruft dich an.
Valerio O komm an meine Brust, und laß mich endlich Des süßten Traumes noch mich wachend freuen.
Erwin Du bringst mir eine Freude, die ich nie Mehr hoffen konnte; ja nicht hoffen wollte. Mein treuer, bester Freund, ich schließe dich Mit Lust an meinen Busen, fühle jetzt, Daß ich noch lebe. Irrend schlich Erwin, Verbannten Schatten gleich, um diese Felsen: Allein er lebt! Er lebt! – O teurer Mann, Ich lebe nur um wieder neu zu bangen.
Valerio O sage mir! O sage viel, und sprich: Wo ist der Mann, der Edle, der dies Haus So lang' bewohnte?
Erwin Diese kleine Hütte, Sein Körper und sein Kleid sind hier geblieben; Er ist gegangen! – Dorthin! wohin ich ihm Zu folgen noch nicht wert war. Siehst du, hier, Bedeckt mit Rosen, blüht des Frommen Grab.
Valerio Ich wein' ihm keine Träne: denn die Freude, Dich hier zu finden, hat mir das Gefühl Von Schmerz und Tod aus meiner Brust gehoben.
Erwin Ich selbst erkenne mich für schuldig; oft Weint' ich an seinem Grabe Tränen, die Den edeln Mann nicht galten. Freund, o Freund!
Valerio Was hab' ich dir zu sagen!
Erwin Rede nicht! – Warum bist du gekommen? sag' mir an!
Valerio Die Eifersucht der Liebsten trieb mich fort. Es konnte diese Qual mein treues Herz Nicht länger tragen.
Erwin So verscheuchte dich Ein allzu großes Glück von ihrer Seite. Ach wehe! weh! – Wie bringt die Gegenwart Des alten Freundes, diese liebe Stimme, Der Blick, der tröstend mir entgegen kam, Wenn sich mein Herz verzweifelnd spalten wollte, Wie bringst du, teurer Mann, mir eine Welt Von Bildern, von Gefühlen in die Wüste! – Wo bist du hin auf einmal, süßer Friede, Der dieses Haus und dieses Grab umschwebte? Auf einmal faßt mich die Erinnrung an, Gewaltig an; ich widerstehe nicht Dem Schmerz, der mich ergreift und mich zerreißt.
Valerio Geliebter Freund, vernimm in wenig Worten Mehr Trost und Glück, als du dir hoffen darfst.
Erwin Die Hoffnung hat mich lang genug getäuscht; Wenn du mich liebst, so schweig' und laß mich los.
Rede nicht! Ich darf nicht fragen. Schweig' o schweig'! Ich will nichts wissen. Ach was werd' ich hören müssen! Ja, sie lebt, und nicht für mich!
Doch, was hast du mir zu sagen? Sprich! ich will, ich will es hören. Soll ich ewig mich verzehren? Schlage zu und töte mich!
Valerio der zuletzt, anstatt Erwinen zuzuhören und auf seine Leidenschaft zu merken, mit Staunen nach der Seite hingesehen, wo er hereingekommen Ich schweige, wenn du mich nicht hören willst.
Erwin Wo blickst du hin? Was siehst du in dem Tale?
Valerio Zwei Mädchen seh' ich, die den steilen Pfad Mit Mühe klimmen. Ich betrachte schon Sie mit Erstaunen eine Weile. Sanft Regt sich der Wunsch im Busen: »Möchte doch Auf diesen Pfaden die Geliebte wandeln!« Mein unbefestigt Herz wird mehr und mehr Durch deine Gegenwart, o Freund, erschüttert. Ich finde dich statt jenes edeln Weisen; Ich weiß die Freude, die noch deiner wartet; Ich fühle, daß ich noch der Welt gehöre; Entfliehen könnt' ich, ihr mich nicht entreißen.
Erwin nach der Seite sehend Sie kommen g'rad herauf; sie sind gekleidet Wie Mädchen aus der Stadt; und wie verloren Sie sich in das Gebirg'? Es folgt von weitem Ein Diener nach; sie scheinen nicht verirrt. Herein! Herein! mein Freund, ich lasse mich Vor keinem Menschen sehn, der aus der Stadt Zu kommen scheint.
Valerio Sie irren doch vielleicht; Es wäre hart, sie nicht zurecht zu weisen. – O Himmel, trügt mein Auge? – Retter Amor! Wie machst du es mit deinen Dienern gut! Sie sind es!
Erwin Wer?
Valerio Sie sind es! freue dich! Das Ende deines Leidens ist gekommen.
Erwin Du täuschest mich.
Valerio Die allerliebsten Mädchen, Rosette, mit – Elmiren!
Erwin Welch ein Traum!
Valerio Sieh' hin! Erkennst du sie?
Erwin Ich seh' und sehe Mit offnen Augen nichts; so blendet mich Ein neues Glück, das mir den Sinn verwirrt.
Valerio Elmire steht an einem Felsen still. Sie lehnt sich an und sieht hinab ins Tal; Ihr tiefer Blick durchwandelt Wies' und Wald; Sie denkt; gewiß, Erwin, gedenkt sie dein. Erwin! Erwin!
Erwin aus tiefen Gedanken O wecke mich nicht auf.
Valerio Rosette schreitet heftiger voraus. Geschwind, Erwin, verberge dich; ich bleibe, Erschrecke sie mit diesem kurzen Haar, Mit Ernst und Schweigen. Mag der kleine Gott Uns alle dann mit schöner Freude kränzen!
Vierter Auftritt
Valerio an der Seite auf einem Felsen sitzend. Rosa.
Rosa Hier ist der Platz! – O Himmel, welch ein Glück! Valerio! Er ist's! So hat mein Herz, Elmire hat mich nicht betrogen. Ja! Ich find' ihn wieder. – Freund, mein teurer Freund, Was machst du hier? Was hab' ich zu erwarten? Du hörest meine Stimme, wendest nicht Dein Angesicht nach deiner Liebsten um? Doch ja, du siehst mich an, du blickst nach mir, O komm herab, o komm in meinen Arm! Du schweigst und bleibst? O Himmel, seh' ich recht! Dein schönes Haar hast du vom Haupt geschnitten, O was vermut' ich! was errat' ich nun!
Kannst du nicht besänftigt werden? Bleibst du still und einsam hier? Ach, was sagen die Gebärden, Ach, was sagt dein Schweigen mir?
Hast du dich mit ihm verbunden, Ist dir nicht ein Wort erlaubt; Ach so ist mein Glück verschwunden, Ist auf ewig mir geraubt.
Valerio Du jammerst mich, und doch vermag ich Betrübtes Kind, dir nun zu helfen. Nur Zum Troste sag' ich dir: Noch ist nicht alles, Was du zu fürchten scheinst, getan; noch bleibt Die Hoffnung mir und dir. Allein ich muß In diesem Augenblick den Druck der Hand Und jeden liebevollen Gruß versagen. Entferne dich dorthin, und setze dich Auf jenen Felsen; bleibe still und nähre Den festen Vorsatz, dich und den Geliebten Nicht mehr zu quälen, dort, bis wir dich rufen.
Rosa Ich folge deinen Winken, drücke nicht Die Freude lebhaft aus, daß du mir wieder Gegeben bist. Dein freundlich-ernstes Wort, Dein Blick gebietet mir; ich geh' und hoffe.
Fünfter Auftritt
Valerio. Erwin.
Valerio Erwin! Erwin!
Erwin Mein Freund, was hast du mir Für Schmerzen zubereitet! Sage mir, Was soll ich denken? Denn von ungefähr Sind diese Frauen nicht hieher gekommen. Grausamer Freund, du hast die stille Wohnung Doch endlich ausgespäht, und kommst mit List, Mit glatten Worten, mit Verstellung, mich Erst einzuwiegen; führest dann ein Bild Vor meinen Augen auf, das jeden Schmerz Aufs neue regt, das weder Trost noch Hülfe Mir bringen kann und mir Verzweiflung bringt.
Valerio Nur stille, lieber Mann; ich sage dir Bis auf das Kleinste, wie es zugegangen. Nur jetzt ein Wort! – Sie liebt dich–
Erwin Nein, ach nein! Laß mich nicht hoffen, daß ich nicht verzweifle.
Valerio Du sollst sie sehen.
Erwin Nein, ich fliehe sie.
Valerio Du sollst sie sprechen!
Erwin Ich verstumme schon.
Valerio Ihr vielgeliebtes Bild wird vor dir stehn.
Erwin Sie nähert sich. Ihr Götter, ich versinke!
Valerio Vernimm ein Wort. Sie hofft, den weisen Alten Hier oben zu besuchen. Hast du nicht Ein Kleid von ihm?
Erwin Ein neues Kleid ist da; Man schenkt' es ihm zuletzt, allein er wollte In seinem alten Rock begraben sein.
Valerio Verkleide dich.
Erwin Wozu die Mummerei? Was er verließ, bleibt mir verehrungswert.
Valerio Es ist kein Scherz; du sollst nur Augenblicke Verborgen vor ihr stehn, sie sehn, sie hören, Ihr innres Herz erkennen, wie sie liebt, Und wen?
Erwin Was soll ich tun?
Valerio Geschwind, geschwind!
Erwin Doch mein Gesicht, mein glattes Kinn wird bald Den Trug entdecken; soll ich dann beschämt, Verloren vor ihr stehn?
Valerio Zum guten Glück Hat meine Leidenschaft des holden Schmuckes Der Jugend mich beraubt. Das blonde Haar, Er nimmt das Haar vom Felsen. Ans Kinn gepaßt, macht dich zum weisen Mann.
Erwin Noch immer wechselst du mit Ernst und Scherz.
Valerio Vergnügter hab' ich nie den Sinn geändert. Sie kommt, geschwind.
Erwin Ich folge; sei es nun Zum Leben oder Tod; es ist gewagt. Sie gehen in die Hütte.
Sechster Auftritt
Elmire allein
Mit vollen Atemzügen Saug' ich, Natur, aus dir Ein schmerzliches Vergnügen. Wie lebt, Wie bebt, Wie strebt Das Herz in mir!
Freundlich begleiten Mich Lüftlein gelinde. Flohene Freuden Ach, säuseln im Winde, Fassen die bebende, Die strebende Brust. Himmlische Zeiten! Ach, wie so geschwinde Dämmert und blicket Und schwindet die Lust.
Du lachst mir, angenehmes Tal, Und du, o reine Himmelssonne, Erfüllst seit langer Zeit zum erstenmal Mein Herz mit süßer Frühlingswonne. Weh mir! Ach, sonst war meine Seele rein, Genoß so friedlich deinen Segen; Verbirg dich, Sonne, meiner Pein! Verwildre dich, Natur, und stürme mir entgegen.
Die Winde sausen, Die Ströme brausen, Die Blätter rascheln Dürr ab ins Tal. Auf steiler Höhe, Am nackten Felsen, Lieg' ich und flehe; Auf öden Wegen, Durch Sturm und Regen, Fühl' ich und flieh' ich Und suche die Qual.
Wie glücklich, daß in meinem Herzen Sich wieder neue Hoffnung regt! O wende, Liebe, diese Schmerzen, Die meine Seele kaum erträgt.
Siebenter Auftritt
Elmire. Valerio.
Valerio Welch eine Klage tönet um das Haus?
Elmire Welch eine Stimme tönet mir entgegen?
Valerio Es ist ein Freund, der hier sich wieder findet.
Elmire So hat mich die Vermutung nicht betrogen.
Valerio Ach, meine Freundin, heute gab ich dir Den besten Trost, belebte deine Hoffnung In einem Augenblicke, da ich nicht Bedachte, daß ich selbst des Trostes bald Auf immer mangeln würde.
Elmire Wie, mein Freund?
Valerio Die Haare sind vom Scheitel abgeschnitten, Ich von der Welt.
Elmire O ferne sei uns das!
Valerio Ich darf nur wenig reden, nur das wenige Was nötig ist. Du willst den Edeln sehen, Der hier nun glücklicher als ehmals wohnt. Er saß in seiner Hütte still, und sah Die Ankunft zwei bedrängter Herzen schon In seinem stillen Sinn voraus. Er kommt. Sogleich will ich ihn rufen.
Elmire Tausend Dank! O ruf ihn her, wenn ich mich zu der Hütte Nicht wagen darf. Mein Herz ist offen; nun Will ich ihm meine Not und meine Schuld Mit hoffnungsvoller Reue gern gestehn.
Achter Auftritt
Elmire. Erwin in langem Kleide mit weißem Barte tritt aus der Hütte.
Elmire kniet
Sieh mich, Heilger, wie ich bin, Eine arme Sünderin.
Er hebt sie auf, und verbirgt die Bewegungen seines Herzens.
Angst und Kummer, Reu' und Schmerz Quälen dieses arme Herz. Sieh' mich vor dir unverstellt, Herr, die Schuldigste der Welt.
Ach, es war ein junges Blut, War so lieb, er war so gut! Ach, so redlich liebt' er mich! Ach, so heimlich quält' er sich! Sieh' mich, Heilger, wie ich bin, Eine arme Sünderin.
Ich vernahm sein stummes Flehn, Und ich konnt' ihn zehren sehn; Hielte mein Gefühl zurück, Gönnt' ihm keinen holden Blick. Sieh mich vor dir unverstellt, Herr, die Schuldigste der Welt.
Ach, so drängt' und quält' ich ihn; Und nun ist der Arme hin. Schwebt in Kummer, Mangel, Not, Ist verloren, er ist tot. Sieh mich, Heilger, wie ich bin, Eine arme Sünderin.
Erwin zieht eine Schreibtafel heraus und schreibt mit zitternder Hand einige Worte, schlägt die Tafel zu, und gibt sie Elmiren. Eilig will sie die Blätter aufmachen; er hält sie ab und macht ihr ein Zeichen, sich zu entfernen. Diese Pantomime wird von Musik begleitet, wie alles das Folgende.
Elmire Ja, würd'ger Mann, ich ehre deinen Wink, Ich überlasse dich der Einsamkeit, Ich störe nicht dein heiliges Gefühl Durch meine Gegenwart. Wann darf ich, wann Die Blätter öffnen? wann die heilgen Züge Mit Andacht schauen, küssen, in mich trinken? Er deutet in die Ferne. An jener Linde? Wohl! So bleibe dir Der Friede stets, wie du ihn mir bereitest. Leb' wohl! Mein Herz bleibt hier mit ewgem Danke. ab.
Erwin schaut ihr mit ausgestreckten Armen nach, da reißt er den Mantel und die Maske ab.
Sie liebt mich! Sie liebt mich! Welch schreckliches Beben! Fühl' ich mich selber? Bin ich am Leben? Sie liebt mich! Sie liebt mich!
Ach! rings so anders! Bist du's noch, Sonne? Bist du's noch, Hütte? Trage die Wonne, Seliges Herz! Sie liebt mich! Sie liebt mich!
Neunter Auftritt
Erwin. Valerio. Nachher Elmire. Nachher Rosa.
Valerio Sie liebt dich! Sie liebt dich! Siehst du, die Seele Hast du betrübet, Die dich nur immer, Immer geliebet!
Erwin Ich bin so freudig, Fühle mein Leben! Ach, sie vergibt mir, Sie hat vergeben!
Valerio Nein, ihre Tränen Tust ihr nicht gut.
Erwin Sie zu versöhnen Fließe mein Blut! Sie liebt mich!
Valerio Sie liebt dich! Wo ist sie hin?
ErwinIch schickte sie hinab Nach jener Linde, daß mir nicht das Herz Für Füll' und Freude brechen sollte. Nun Hat sie auf einem Täfelchen, das ich Ihr in die Hände gab, das Wort gelesen: »Er ist nicht weit!«
Valerio Sie kommt! geschwind, sie kommt. Nur einen Augenblick in dies Gesträuch! Sie verstecken sich.
Elmire Er ist nicht weit! Wo find' ich ihn wieder? Er ist nicht weit! Mir beben die Glieder. O Hoffnung! O Glück! Wo geh' ich, wo such' ich, Wo find' ich ihn wieder? Ihr Götter, erhört mich, O gebt ihn zurück! Erwin! Erwin!
Erwin hervortretend
Elmire!
Elmire Weh mir!
Erwin zu ihren Füßen Ich bin's.
Elmire an seinem Halse Du bist's!
Valerio hereintretend
O schauet hernieder! Ihr Götter dies Glück! Da hast du ihn wieder! Da nimm sie zurück! ab
Erwin Ich habe dich wieder! Hier bin ich zurück. Ich sinke darnieder, Mich tötet das Glück.
Elmire Ich habe dich wieder! Mir trübt sich der Blick. O schauet hernieder, Und gönnt mir das Glück!
Rosa welche schon, während Elmirens voriger Strophe, mit Valerio hereingetreten und ihre Freude, Verwunderung und Versöhnung mit dem Geliebten pantomimisch ausgedrückt. Da hab' ich ihn wieder! Du hast ihn zurück! O schauet hernieder! Ihr Götter, dies Glück!
Valerio Eilet, gute Kinder, eilet, Euch auf ewig zu verbinden. Dieser Erde Glück zu finden Suchet ihr umsonst allein.
Alle Laßt uns eilen, eilen, eilen, Uns auf ewig zu verbinden! Dieser Erde Glück zu finden Müsset ihr zu Paaren sein.
Erwin Es verhindert mich die Liebe, Mich zu kennen, mich zu fassen. Ohne Träne kann ich lassen Diese Hütte, dieses Grab.
Elmire. Rosa. Valerio Oft, durch unser ganzes Leben Bringen wir der stillen Hütte Neuen Dank und neue Bitte, Daß uns bleibe, was sie gab.
Alle Laßt uns eilen, eilen, eilen! Dank auf Dank sei unser Leben. Viel hat uns das Glück gegeben, Es erhalte, was es gab!